Schnappschüsse sind Momentaufnahmen, die oft unerwartete oder überraschende Facetten der Wahrheit offenlegen. So gesehen ist Snapshots der passende Titel für das neue Album von Singer-Songwriter Markus Rill, das in Zusammenarbeit mit dem Multi-Instrumentalisten Robert Hasleder entstanden ist.
Voll warmer Sounds von akustischen Gitarren, Kontrabass, Weissenborn und Mandoline, voll erwachsener Songs mit hochklassigem Storytelling, voller Wärme und Qualität, aber auch voller Energie, mit Ecken und Kanten an den richtigen Stellen, ist Snapshots eine Pretiose im Meer der digitalen Veröffentlichungen.
Dabei war das Werk selbst eine Art Schnappschuss. Flott und ohne große Vorbereitung gingen die Aufnahmen in der ersten Jahreshälfte 2024 vonstatten.
„Nachdem die Zusammenarbeit mit Robert Hasleder an unserem Townes-van- Zandt-Tribute im Trio mit Mr Jones äußerst angenehm und unkompliziert verlief, fragte ich Robert, ob er auf die gleiche Art noch an einigen Songs von mir weiterarbeiten wolle“, berichtet Rill. „Nach vier, fünf Songs war uns klar, dass wir uns auf dem Weg zu einem Album befanden.“
Unerwartet mag dabei sein, dass Rill dem zupackenden, grandiosen Bandalbum „Everything We Wanted“ nun ein überwiegend akustisches Werk folgen lässt, das ihn eher als entspannt-erfahrenen Singer-Songwriter präsentiert, denn als rockigen Bandleader. Der an vielen Stellen hervorblitzende, an John Prine oder Jim Croce erinnernde Humor ist dabei eine Facette, die in Rills Oeuvre bisher noch nicht im Mittelpunkt stand.
„Today I read about an old flame hitting the big time … buying fancy cars & guitars, hanging out with movie stars, she never was the kind I thought I couldn’t live without but I sure do miss her now“ („Hab heut von einer alten Flamme gelesen, die den großen Durchbruch geschafft hat … sie kauft sich schicke Autos und Gitarren und hängt mit Filmstars ab. Eigentlich war sie nicht die Art Frau, nach der ich mich immer gesehnt hab – aber jetzt fehlt sie mir schon“), singt Rill in der Rolle des abgewrackten Losers in „Sure Do Miss Her Now“. Lakonik versprüht auch The Cowboy & Sweet Kitty, eine Hommage an Johnny Cash & The Tennessee Two im stilechten Boom-Chicka-Boom-Sound. Warum sich Gegensätze anziehen, könne keiner erklären. Aber dass es so ist, beweist seine Existenz als Sohn eines wortkargen Hinterwäldlers und einer nicht auf den Mund gefallenen Städterin, singt Rill mit Augenzwinkern.
Auch neu bei Rill: Eine gewisse Milde, eine Prise Menschenfreundlichkeit. Zu hören in der Hin- und Her-Liebesgeschichte von „Eddie & Rita“, fantastisch umspielt von Robert Hasleders Mandoline und Akkordeon, und im vielleicht herausragenden Song des Albums, „Grandma’s Porcelain“. Eingebettet in Pedal Steel und Akustikgitarren verdeutlicht dieser Song, geschrieben mit der Schwedin Sara Littecke Bond, wie zum Erwachsen-Werden ein Erwachen gegenüber den Schwächen der Helden unserer Kindheit und eine Hinwendung zur Menschlichkeit gehören. Ein wahrhaft großer Song!
Aber der Songschreiber entzieht sich vorschnellen Deutungen, das macht der roots-rockende Titelsong „Snapshots From My Life“ klar. “Piece ‘em all together, you still won’t find me here & now“ („Auch wenn du alle Schnappschüsse von mir nebeneinander legst, weißt Du nicht, wer ich heute bin)“, singt er. Und überhaupt: “I don’t dwell on the past, time keeps moving on anyhow“ („Was bringt es, zurückzublicken? Die Zeit schreitet sowieso voran.“)
Deshalb ist neben gut gelaunten Songs wie dem Country-Gassenhauer „Sometimes You Wanna Be Alone“ auch Platz für knackige Americana-Sounds in „Can’t Make Sense Of Love“, tiefe Traurigkeit („What Might’ve Been“) sowie Nachdenklichkeit („Take Direction From My Heart“).
Rill und Hasleder ergänzen einander hervorragend. „Während der Pandemie habe ich mich zum ersten Mal intensiver mit Home Recording befasst, habe Demos nicht mehr nur live mit Gitarre und Gesang eingespielt, sondern kleine Arrangements erstellt mit mehreren Akustikgitarren, E-Gitarre, Mundharmonika, hie und da mal mit einer Baritongitarre oder einer kleinen Melodie auf der Gryphon oder Mando“, erzählt Rill. „Diese Demos, die schon einen Sound, eine Richtung vorgaben, hat Robert durch sein filigranes und geschmackvolles Spiel auf allen möglichen Instrumenten sowie durch seine Backing Vocals und Mixe auf ein ganz anderes Niveau gehoben.“
Für Kurzeinsätze hat Rill weitere Freunde und Gäste eingespannt: Drummer Leonardo von Papp, Bassist Didi Beck, Gitarrist Maik Garthe und Keyboarder Sebbo Bach sind langjährige Weggefährten; die Sängerinnen Rebecca King und Kristina Jacobsen neue Kollaborateure und Freunde. So streunen die Songs äußerst abwechslungsreich durch Folk/Country/Roots/Americana-Territorium, bleiben aber durch Rills Stimme und Hasleders Beiträge verbunden – gleichzeitig Schnappschüsse und ein atmosphärisch dichtes Album.
Snapshots mag nur eine Momentaufnahme sein, aber wer hier nicht hinsieht und hinhört, verpasst ein tolles Album mit elf klasse Songs und vitaler Musikalität.