You Used To Live Here
Es ist nicht schwierig, You Used To Live Here als das Album zu verstehen, für das Kelley Mickwee geboren wurde. Nachdem sie über ein Jahrzehnt lang ihr musikalisches Können verfeinert hat – zunächst im Folkduo Jed & Kelley, später in der All-Girl-Band The Trishas -, veröffentlicht Mickwee nun ihr Solodebüt, das klingt wie das Statement-Album eines erfahrenen Künstlers, bei dem nun alles zusammen passt. Mickwee überrascht mit dem Geständnis, dass das Album weniger aus Überzeugung und Mut entstand, sondern aus einer Art Panik.
“Es ist furchteinflößend, von Null zu beginnen, aber es war nötig”, erklärt die Songwriterin. Ende 2013 entschieden sich die Trishas nach fünf Jahren als einer der viel versprechendsten Acts der Americana-Szene eine (zunächst unbegrenzte) Pause einzulegen. Mickwee fragte sich, was sie nun tun könne. Die Vorstellung, als Solokünstler noch einmal von vorn zu beginnen, war weniger ein Wunsch als eine Notwendigkeit. „Mir wurde klar, dass ich im Grunde arbeitslos sein würde. Es war an der Zeit, für mich selbst zu sorgen.“
Wenn man bedenkt, dass die Trishas ursprünglich nur für einen einmaligen Auftritt bei einem Kevin-Welch-Tributkonzert zusammenkamen, ist es äußerst passend, dass ausgerechnet ein Song, den Kelley später mit Kevin Welch geschrieben hat – die Gospel-/Soulnummer “River Girl” – eine Schlüsselrolle für den Sound ihres Solodebüts spielt. „Ich sah mir die Doku über die Musik an, die aus Muscle Shoals kommt und darin kam mehrfach der Begriff ‚river people’ vor, über Menschen, die in der Nähe eines großen Flusses aufgewachsen sind.“ Mickwee, geboren in Memphis, konnte sich damit natürlich identifizieren. „Das brachte mich auf die Idee etwas zu schreiben, das so nah wie möglich an Aretha Franklin herankommt. Natürlich werde ich nie so cool sein wie sie, aber ich fing an, den Song zu schreiben und Kevin half mir dabei, ihn zu Ende zu bringen. Ich wusste, er war der Richtige dafür.“
Mickwees Wunsch, nahe an Arethas Sound und den Geist dieses Songs heranzukommen, war entscheidend dafür, das Album zuhause in Memphis aufzunehmen. So sehr sie auch ihren Wohnort Austin und die dortige Musikszene schätzen gelernt hatte, wusste sie doch, dass sie den Sound, den sie in ihrem Kopf hörte, nur mithilfe der Musiker aus Memphis erreichen konnte, denen sie während ihrer gesamten Schul- und Studienzeit zugehört hatte.
„Sie spielen einfach auf eine spezielle Art und Weise. Das ist ein Sound, den niemand in Austin so hinkriegt“, sagt sie. „Ich weiß nicht, woran es liegt. All diese Typen wuchsen in verschiedenen Bands auf – die Jungs aus Memphis spielen sehr entspannt, sehr loose. Und ich wollte, dass es genau so klingt. Toningenieur Kevin Cubbins ist einer der besten in Memphis. Früher spielte er in einigen Bands, die ich mir ständig angehört habe. Alle diese Typen kenne ich, seit ich zum ersten Mal auf einer Bühne gesungen habe. Mir war klar, dass ich mich mit ihnen wohl fühlen würde.“
Mickwee (akustische Gitarre, Mandoline) und ihre Traumband bestehend aus (fast ausnahmslos) Musikern aus Memphis – mit ihrem Ehemann, Orgelspieler und Gitarrist Tim Regan, Pedal-Steel-Gitarrist Eric Lewis, Drummer Paul Taylor und Bassist Mark Edgar Stuart – nahmen die sieben Songs des Albums in eineinhalb Tagen live auf, im Wohnzimmer einer Villa, die früher dem Bürgerkriegs-Historiker Shelby Fotte, Autor von Shiloh, gehörte. „Das Haus ist alt und seltsam und etwas heruntergekommen, aber das dortige Studio beherbergt all diese tollen klassischen Instrumente und Gerätschaften“, sagt Mickwee. „Das war schon abgefahren. Dort aufzunehmen, war eine tolle Erfahrung.“
Toll sind auch die Songs. Die Memphis-Atmosphäre – organisch und voller Soul – ist unverkennbar. Das Album wurzelt in Americana und einer staubigeren, groovigeren Nebenstraße des Songwriter-Genres. Jeder der sieben Songs zeigt einen anderen Aspekt von Mickwees stilistischer Reichweite. „Wenn man mit anderen Leuten schreibt, bringt jeder seine Persönlichkeit ein, deshalb unterscheiden sich die Songs“, sagt Mickwee. „Der Song, den ich mit Kevin geschrieben habe, ist anders, als der, den ich mit Owen Temple geschrieben habe (das wunderschöne Liebeslied „Beautiful Accidents“). Und mit Johnny Burke kam eine sexy Nummer raus („Hotel Jackson“ mit der Textzeile „You look like something I want to eat.“).“
Die anderen Eigenkompositionen schrieb Mickwee mit Phoebe Hunt (“Take Me Home”) und ihrem alten Freund/Vorbild Jimmy Davis (“You Used To Live Here”). „Jimmy zeigte mir, wie man auf der Bühne performt und singt“, sagt sie. „Ich hab ihn mir live angesehen, seit ich 16 war und mit einem gefälschten Ausweis in die Bars von Memphis zu den Konzerten seiner Band Riverbluff Clan reinkam.“ Heutzutage spielt Davis mit Walt Wilkins and the Mystiqueros.
Ihre kluge Auswahl von Coversongs – “Blameless” von John Fullbright und “Dark Side Of Town” von Eliza Gilkyson – verrät viel über Mickwee. “Wenn ich irgendjemandem nacheifern könnte, dann Linda Ronstadt, weil sie zuerst Performerin und Sängerin war“, so Mickwee. „Nicht nur, dass sie eine herausragende Sängerin war, sie war auch klug genug zu wissen ,Ja, ich kann Songs schreiben. Aber ich habe eine Reihe von Freunden, die ganz großartige Songschreiber sind.’ Es war ihr nicht wichtig zu beweisen, dass sie Songs schreiben konnte. Sie wollte einfach nur die besten Songs singen und aufnehmen. Es ist schade, dass wir so jemanden heutzutage nicht mehr in unserem Genre (Americana) finden.“
Den umwerfenden Versionen der Fullbright- und Gilkyson-Songs nach zu urteilen, könnte Kelley Mickwee die Künstlerin sein, die diese Lücke füllt. Für den Moment aber ist es mehr als genug, dass sie in You Used To Love Here ihr eigenes Potenzial voll ausschöpft. Nennt es „Mickwee in Memphis“, nennt es wie Ihr wollt, es ist der Sound einer Künstlerin, die sich selbst aus einer Not heraus neu definiert hat und dabei die beste Musik ihrer bisherigen Karriere geschaffen hat.
It’s easy to hear You Used to Live Here as the kind of record Kelley Mickwee was born to make. After more than a decade of fine-tuning her performance chops, first as half of the Tennessee-based folk duo Jed and Kelley and later as part of the all-girl Texas group The Trishas, Mickwee is releasing an official solo debut that plays like an all-pieces-falling-into-place mission statement of a seasoned artist who’s finally come into her own. But asked about the impetus for the album, she’ll straight-up tell you that it wasn’t so much carpe-diem moxie as it was, well, a kind of panic.
“It’s scary, starting from what’s basically a blank slate, but it was totally out of necessity,” says the singer-songwriter, who in late 2013 found herself facing the question of “what next” when the Trishas decided to take an open-ended break after a five-year run as one of the most promising up-and-coming acts on the Americana music scene. For Mickwee, the prospect of “starting from scratch” as a solo act was initially more terrifying than thrilling. “But I realized I was basically going to be out of a job, so I needed to start getting self sufficient!”
Given that the Trishas initially came together to play what was supposed to be a one-off gig at a Welch tribute concert, it’s fitting that a song Mickwee later co-wrote with Welch — the gospel/soul infused “River Girl” — would play a key role in shaping her debut solo album. “I was watching that documentary about all of the music that came out of Muscle Shoals, and they kept using this term ‘river people,’ like people who grew up next to a big river,” says Mickwee, who, being a native of Memphis, naturally took the term to heart. “That gave me the idea to write something that was as close as I could get to Aretha. Of course I’ll never be anywhere near as cool she was, but I started writing it and then finished it with Kevin, because I knew he was the perfect guy to help me write a song like that.”
Mickwee’s desire to get as close to Aretha and the spirit of the song as possible was a big part of what led her back home to Memphis to record the album. Because as much as she’s grown to love her adopted Austin and its own deep pool of musical talent over the last eight years, she knew the sounds she heard in her head could only be brought to life by the Memphis cats she grooved to all through high school and college.
“There’s just something about the way those guys play, and it’s a sound that nobody [in Austin] really sounds like, you know?” she says. “It’s a totally different element, and I don’t know what it is, but it’s just like all these guys grew up playing in countless different bands together, and those Memphis boys just keep it loose! And I wanted it to sound like that. The engineer, Kevin Cubbins — he’s one of the best in Memphis, and he was in a few bands back in the day that I used to go see play all the time. All these guys are people that I’ve known since I sang my first note in public, so I knew I’d be really comfortable around them.”
Mickwee (acoustic guitar and mandolin) and her dream band of mostly Memphis musicians — including her husband, organ and guitar player Tim Regan; pedal steel player Eric Lewis; drummer Paul Taylor; and bassist Mark Edgar Stuart— recorded the album’s seven tracks, all live, over a day and a half in a home studio set up in the living room of a mansion formerly owned by the late Civil War historian Shelby Foote, the author of Shiloh. “The house is old and weird and funky, sort of run down and full of holes, but the studio has all this vintage, antique gear in it,” says Mickwee. “And I mean, it was trippy! The whole experience was really cool.
And so were the songs they recorded there. The organic and soulful Memphis mojo is prevalent throughout, with the record as a whole rooted in Americana and duskier, groovier side of the singer-songwriter genre, but each of the album’s seven tracks showcases a different aspect of Mickwee’s stylistic range. “When you write with someone else, they always bring their own thing to it, so it ends up being different than the others,” says Mickwee. “The song I wrote with Kevin is very different from the one I wrote with Owen Temple [the gorgeous Americana love song “Beautiful Accidents”], and Johnny Burkeand I wrote a really raunchy little tune together [“Hotel Jackson,” with the lusty line, “You look like something I want to eat.”]”
The album’s other two originals where co-written with Phoebe Hunt (“Take Me Home”) and Mickwee’s old friend/hero Jimmy Davis (“You Used To Live Here.”) “I credit Jimmy with showing me how to be a performer and sing onstage,” Mickwee says of Davis, who now plays with Walt Wilkins and the Mystiqueros. “I’ve been watching him since I had a fake ID at 16 and started sneaking into bars in Memphis to hear his old band, the Riverbluff Clan.”
Her savvy choice in covers — John Fullbright’s “Blameless” and Eliza Gilkyson’s “Dark Side of Town” — is equally inspiring and revealing. “If I could emulate anyone’s career, it would be Linda Ronstadt, because she’s first and foremost a performer and a singer,” Mickwee explains. “On top of being one of the best singers that we’ve ever known, she was smart enough to realize, ‘Yeah, I can write, but I also have all these friends who are really great songwriters.’ She wasn’t concerned with proving she could write, she just wanted to pick and sing the best songs that she could find. I don’t think we really have any Linda Ronstadts in our type of music (Americana) anymore, and that’s a shame.”
Judging from her stunning interpretations of the Fullbright and Gilkyson songs here, Mickwee may someday prove to be just the artist to fill that void. But for now, it’s more than enough that You Used To Live Here finds her living up to her own full potential. Call it “Mickwee in Memphis.” Or better yet, call it the sound of an artist pushed by necessity into reinventing herself — and coming away with the best music she’s made to date.