Mit einem Output ohne Beispiel gehört die kleine-feine Supergroup US RAILS zu den verlässlichsten und fleißigsten Acts auf dem schwäbischen Blue Rose-Label. Nicht weniger als 5 kapitale Studioproduktionen haben die Amerikaner – neben einigen Live- und Acoustic-Alben – allein in der vergangenen Dekade herausgebracht, zahlreiche Europatourneen führten zu einer stetigen Vergrößerung ihrer Fangemeinde. Das alles ungeachtet der Tatsache, dass wir es bei Ben Arnold, Tom Gillam, Scott Bricklin und Matt Muir (sowie zu Beginn auch noch Joseph Parsons) mit starken Singer/Songwriter-Charakteren zu tun haben, die parallel ihre eigenen Soloprojekte verfolgen! So könnte man also bei Blue Rose die 2020er kaum gelungener starten als mit einem brandneuen Release der US Rails. Mile By Mile heißt das zutiefst befriedigende Werk, seine 11 komplett selbstgeschriebenen Stücke strotzen nur so vor Tatendrang, Vielseitigkeit und dem bandtypischen Sound von melodischem Rock’n Roll voller Gitarrenlast und Stimmenseligkeit!
US Rails 2008/2009: Gut informierte Folk/Roots/Rock-Zirkel waren vorgewarnt. Ein paar lokal bekannte Singer/Songwriter hatten sich in der Szene von Philadelphia zusammengefunden, erste Konzerte sorgten für höchste Aufmerksamkeit. Spätestens nach einer unvergessenen Stippvisite im Dezember 2009 bei der Blue Rose Christmas Party und dem darauf folgenden Debütalbum US Rails im Juni 2010 stand auch für hiesige Fans fest, welches Talent und Potenzial diese Formation besitzt. Gleich fünf gleichberechtigte Akteure bildeten den musikalischen Verbund von US Rails, mit dem man formal in der Tradition von CSNY bis Traveling Wilburys und – denken wir an ähnliche Fälle auf Blue Rose – von Resentments bis Hardpan steht. Ben Arnold, Scott Bricklin, Matt Muir und Joseph Parsons hatten eine gemeinsame Vergangenheit bei den Philly Folk Rockern von 4 Way Street, Tom Gillam aus New Jersey gelangte über die Philadelphia-Schiene als Sideman von Joseph Parsons zu den anderen, lebte aber damals bereits in Austin, Texas. Zusammen nahm man in den Folgejahren die Studioplatten Southern Canon (2012) und Heartbreak Superstar (2013) für Blue Rose auf, bevor Parsons beschloss, sich intensiver auf seine Solokarriere zu konzentrieren und die US Rails in Freundschaft 2015 zu verlassen. Der Rest-Vierer verlor keine Zeit, mit Ivy (2016) gleich das nächste Werk herauszubringen! Es sollte zunächst das letzte Album mit ausschließlich eigenen Originalkompositionen werden, denn anlässlich einer erneuten Europatournee – und dem damit verbundenen Gebot einer aktuellen Veröffentlichung – spielten US Rails kurzerhand das „Zwischendurch-Album“ We Have All Been Here Before ein. Mit Coverversionen ihrer Lieblinge von Neil Young und Jackson Browne über Beatles und Stones bis hin zu Fleetwood Mac und Warren Zevon, aber auch World Party und The Clash bewies man zwar guten Geschmack und handwerkliches Können, aber etwas Eigenes ist letztendlich doch ein ganz anderes Niveau.
Umso größer ist nun die Freude über Mile By Mile und seine 11 spannenden Tracks: Vier von Keyboarder/Akustikgitarrist Ben Arnold, einer von Drummer, Recording Engineer und Soundmixer Matt Muir sowie je drei von Bassist/Gitarrist/Organist Scott Bricklin und Gitarrist (Electric, Acoustic, Slide, Baritone) Tom Gillam. Alle singen jeweils die Leadstimme auf ihren eigenen Titeln und die vorzüglichen mehrstimmigen Harmonien auf den anderen. Scott Bricklin eröffnet die US Rails Show standesgemäß mit dem eingängigen E-Gitarren-Rocker ‚Take You Home‘, bevor Tom Gillam den Titelsong in dynamischer Manier, Boogie-riffig und mit permanent wimmernder Slide Guitar vorwärts treibt. ‚Trash Truck‘ heißt der erste, nicht minder rockende Beitrag von Ben Arnold, geprägt von seiner typisch kratzig-rauen Stimme irgendwo zwischen Randy Newman, Gary Brooker und Leon Russell und diesem offensiven Pianospiel. Dazu sind es auch hier wieder Gillam’s elektrische Slidelinien, die den rockigen Unterschied bei US Rails ausmachen. Mit ‚Water In The Well‘ stimmt Drummer/Singer Matt Muir nun die erste Ballade an, die man im weiteren Sinn als Klimawandel-Mahnung bezeichnen mag. Ein mächtiger Chor, eine Wand aus elektrischen Gitarren und ein rollendes E-Piano häufen gegen Ende ordentlich Dramatik auf – „We’re all dying for a change“!
Arnold’s ‚What You Mean To Me‘ ist 70s-angelehnter Country/Folk Rock in Reinkultur. Nach ‚Hard Headed Woman‘, einem lässig-melodischen Scott Bricklin-Ohrwurm auf den alles verschmelzenden Koordinaten von Rock, Pop und Folk Rock, begibt sich Tom Gillam auf einen geradezu melancholischen Westcoast-Nostalgietrip – ‚Easy On My Soul‘ hadert mit dem unvermeidlichen Älterwerden. Thematisch ähnlich gelagert blickt auch ‚Tombstones & Tumbleweeds‘ in den Rückspiegel des Lebens. Allerdings zieht Ben Arnold das Tempo mit seinem geradlinigen Roadhouse Rocker wie aus dem Lehrbuch kräftig an. In ‚See The Dream‘ beklagt Scott Bricklin mit „keep it together – loving each other“-Botschaften den Zeitgeist zwischen Fake News und gesellschaftlichen Gräben und gibt mit dieser kompakten Hymne den American Dream noch nicht ganz verloren. Nach Tom Gillam’s relaxt vor sich hin schlurfendem Semi-Rocker ‚Fooling Around‘ steht ‚Slow Dance‘ von Ben Arnold am stimmigen Ausklang von ‚Mile By Mile‘: eine soulige Ballade als schmachtende Untermalung zu einem romantischen Abend, der nie zu Ende gehen dürfte, zumindest aber noch ein wenig hinausgezögert werden müsste.
Wie schon auf den Vorgängeralben belegen die vier Typen von US Rails eindrucksvoll, wie man auch in einer sogenannten Supergroup ganz ohne Egotrips brillieren kann, wenn man einmal beschlossen hat, dass das Team der Star ist; und bestechen mit ihrer kerngesunden Mischung aus wertkonservativem (Folk & Country) Rock der 70er Jahre und jener handgemachten Musik, die man heute allgemein als Americana (Roots) Rock bezeichnet. Das Ergebnis klingt dann weder verstaubt noch trendy, und wahrscheinlich liegt genau darin diese überzeugende Qualität von Mile By Mile!