09. November 2018

Neues Blue Rose-Album von JESS KLEIN: Back To My Green !

Fast eine Dekade lang gehörte die charismatische Singer/Songwriterin Jess Klein zur großen Austin Community, bevor sie vor kurzem in die beschauliche, dabei durchaus hippe Kleinstadt Hillsborough in North Carolina zog – der Liebe wegen! Das Thema Liebe, ja: auch die private, mehr aber eine allumfassende, mitunter spirituell geprägte und in einem größeren Kontext übergeordnete Liebe zieht sich wie ein roter Faden durch ihr brandneues Albums Back To My Green. In ihrer anspruchsvollen Lyrik und mit dieser so besonderen Stimme verliert Jess Klein dabei nie die Bodenhaftung und verweist ein ums andere Mal auf die brennenden Probleme unserer Zeit. Auch ihre Musik hört sich – nun im Südosten statt in Texas produziert – weiterhin erdig und wurzelverbunden an wie schon auf den beiden hoch gelobten Blue Rose-Vorgängern Behind A Veil (2012) und Learning Faith (2014). Mit Back To My Green ist der sympathischen Mittvierzigerin ein nächstes reifes, kraftvolles Americana-Album gelungen, das am Ende des Jahres noch so manche voreilig gefertigte Topliste durcheinander wirbeln wird!


Als junge Frau aus Upstate New York trat Jess Klein ab den frühen 90ern in den Folkclubs von Manhattan und Boston auf. Erste Alben erschienen noch privat, als ernsthaften Durchbruch muss man das in Nashville professionell aufgenommene und auf Rykodisc überregional veröffentlichte Draw Them Near von 2000 betrachten. Erst 2005 folgte das viel gepriesene, in NYC entstandene Strawberry Lover. Der ähnlich konzipierte, schnelle Nachfolger City Garden heimste in 2006 weitere Auszeichnungen ein, u.a. seltene 5 Sterne vom angesehenen Mojo Magazine. Die Ryko-Phase war damit beendet und Klein beschloss, nur noch selbstbestimmt auf eigene Rechnung zu arbeiten. Bound To Love entstand 2009 als erstes Ergebnis ihres Umzugs in die texanische Musikmetropole Austin. Lokale Größen wie Scrappy Jud Newcomb und Mark Addison konnten als Mitmusiker und Produzenten gewonnen werden, musikalisch präsentierte Klein eine flexible Mischung aus Folk und Pop mit lässigen Rockelementen made in Austin – absolut geeignet für Fans von Lucinda Williams über Patty Griffin bis Tift Merritt. Nach einer langen Pause meldete sich Jess Klein in 2012 mit Behind A Veil eindrucksvoll zurück – es war gleichzeitig ihr Labeldebüt bei Blue Rose in Europa. In einem sehr vielschichtigen, wieder von Mark Addison produzierten Album verarbeitete sie gleich mehrere Lebenskrisen auf poetische Art, musikalisch handelte es sich um Americana Rock mit texanischen Einflüssen an allen Ecken und Enden! 2014 folgte das nächste Blue Rose-Werk Learning Faith in einer ähnlichen musikalischen Bandbreite und in einem durchgängigen Konzept über den schwierigen Prozess, Vertrauen aufzubauen, über den Glauben an die Menschen und an höhere Mächte. Was bei Jess Klein aber nicht zwingend in Religiosität münden muss!

Vier Jahre hat sich die inzwischen auch in den einschlägigen Americana-geneigten Clubs in Europa etablierte Künstlerin Zeit genommen für die 10 neuen Stücke von Back To My Green. Wegen ihrer jungen Beziehung mit dem Singer/Songwriter Mike June und dem damit verbundenen Umzug nach North Carolina stand ihre gewohnte musikalische Komfortzone in Austin natürlich nicht mehr zur Verfügung. Neue Weggefährten und damit auch frischen kreativen Input fand sie in den beiden Multitaskern Mark Simonsen und Thom Canova und in deren Studio M in Durham, NC. Produzent Simonson (von The Old Ceremony, Sessions für Justin Robinson, Chris Stamey, Mount Moriah, Squirrel Nut Zippers) spielt dabei den Hauptanteil der Instrumente gleich selber: Klavier, Keyboards, elektrische Gitarren, Drums, Percussion, ist für Backing Vocals und die Arrangements für ein punktuell eingesetztes Streichertrio zuständig. Recording Engineer Canova (Jeffrey Halford, Dex Romweber, Chatham County Line, Amy Ray) spielt Bass, elektrische Gitarre und Percussion. Ferner ist der bekannte Pedal Steeler Mike Grigoni (Rachel Harrington, Jenee Halstead, etliche Soundtracks) auf ausgesuchten Tracks zu hören, genauso wie je ein Mal die Gaststimmen von Gaelynn Lea und Jonathan Byrd. Die Hauptakteurin spielt akustische und elektrische Rhythmusgitarren, gelegentlich Percussion und Drums. Aber es ist natürlich ihre unvergleichlich verführerische, leidenschaftliche Stimme, die so sehr betört und begeistert! Mal kommt ihr emotionsreicher Gesang sehr nachdrücklich rüber, auf den Slow Songs dafür eher verletzlich, jederzeit seelenvoll, engagiert und ganz dicht an den Lyrics! In leichter Abwandlung eines Mojo-Zitats: Für diese Stimme möchte man in die Lautsprecherboxen kriechen!

Back To My Green startet elegant und hitverdächtig mit ‚In Dreams‘. Getragen von einem luftigen Motown Beat fügen sich Memphis-Gitarren, Klavier und opulent arrangierte Streicher zu einem Klangteppich, über dem Jess Klein mit ihrer attraktiven Stimme im Fadenkreuz von Sheryl Crow, Susanna Hoffs und Stevie Nicks hinweg zu schweben scheint. Die sämige Southern Folk Rock-Ballade ‚Tougher Than I Seem‘ bietet danach feines Kontrastprogramm mit einem kernigen Sound aus akustischen und elektrischen Gitarren, mehrstimmigen Backing Vocals und einem eingängigen Refrain. ‚Mammal‘, ein erster sogenannter Key Song im Internet, kommt im 70er Country Rock-Modus mit gehörigem Punch und laut singenden elektrischen Gitarren zwischen den Textzeilen, in denen Klein das Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Human Rights predigt. Das laute, offensiv geshoutete ‚Blair Mountain‘ ist ein weiterer von gleich mehreren Upbeat-Songs, ausgeschmückt mit fuzzy, distorted Electric Guitars und Lap Steel. Es folgt der hippieske Titeltrack mit seiner Kernaussage „free in my body, free in my mind, free to believe that love and beauty can win in our time“ – exemplarisch dargestellt als ein naturverbundenes Leben, quasi eine Reise in den eigenen Garten. Mit 5:38 Minuten ist ‚New Thanksgiving Feast‘ der längste und sparsamste Song des Albums geworden: Wunderschön melancholisch gesungen nur zur akustischen Gitarre reflektiert die ständig reisende Weltbürgerin Jess Klein ihre Gedanken und Gefühle als Enkelin russisch-jüdischer Einwanderer und beschreibt einen großen Bogen von der Schöpfung zu schwierigen gesellschaftlichen Situationen in ihrem Land und anderswo. ‚Gates Of Hell‘ startet als Acoustic Blues, entwickelt sich aber zügig zu einem wahren Roots Rocker mit Schlagzeug-Dauerfeuer, nervöser elektrischer Gitarre und einem bizarren Gospelchor aus dem Off. Formal ist ‚4 The Girlz‘ eigentlich eine weitere dieser für Jess Klein so markanten bittersüßen Southern Folkballaden auf Basis von akustischer Gitarre/Gesang, aber dann werden die Refrains klug aufgehübscht mit analogen Keyboards, Vibrafon, Glockenspiel. In einem luftig-folkigen Arrangement mit orchestralem Ende singt Klein in ‚Kid‘ von Erfahrungen mit dem Älterwerden und dem Überwinden von Hürden auf dieser langen Reise: „the goal of your journey was love“, bevor ‚I Hear Love‘ dieses Album absolut würdig beschließt: ein leiser, friedlicher, aber sehr entschiedener Aufruf zur gesellschaftlichen Solidarität in einer Zeit, in der Hass, Wut und Ohnmacht sich immer stärker Gehör zu verschaffen scheinen, in Gestalt eines akustischen Folksongs, nur mit Gitarre begleitet und von Pedal Steel-Schleifen umgarnt, erhaben und ungemein intensiv gesungen. Ein nachhaltiger Wirkungstreffer zum Ende eines weiteren herausragenden Albums dieser Ausnahmemusikerin Jess Klein. Diesmal ist es etwas persönlicher geraten mit einer Fülle von poetisch verklausulierten kleinen Botschaften aus ihrem Innersten für die Welt!

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