Als Julian Dawson vor fünf Jahren beschloss, eine persönlich ausgewählte Compilation mit Blue Rose Records zu veröffentlichen, war Life And Soul der perfekte Titel für einen Rückblick einer einzigartigen musikalischen Odyssee.
Wie Geoff Wall in seinen Anmerkungen im beigefügten Booklet feststellt, „fällt mir kein anderer Künstler mit einer Karriere ein, die eine Zusammenarbeit wie mit den Avantgarde-Pionieren Can, Jazz-Genie Toots Thielemans, Country-Größen wie Charlie Louvin und Vince Gill, Soul-Legenden wie Dan Penn und Lucinda Williams und Gitarren-Helden wie Duane Eddy, Richard Thompson und Steuart Smith einschlossen.“
Das liebevoll verpackte 3-CD-Box-Set wurde von Fans und Kritikern gleichermaßen begeistert aufgenommen, aber bei mehr als vierzig Jahren und zwanzig Alben zur Auswahl erzählte Volume 1 nur die Hälfte der Geschichte…
Nun kommt Life And Soul Volume II (Bargains Galore), (was zu Deutsch in etwa „reichlich Schnäppchen“ bedeutet).
Mit einem weiteren ins Auge springenden Cover, einem umfangreichen vierzig-Seiten-Booklet und drei CDs mit über sechzig Songs bringt uns Volume II in die Jetztzeit. Julian hat wieder selbst seine persönlichen Favoriten aus sieben Alben herausgepickt, die er zwischen 1997 und 2017 aufgenommen hatte. Das neue Set zeigt weitere seltene Fotos aus Julian’s persönlichem Archiv sowie Informationen zu den Aufnahmesessions, Reminiszenzen und Hintergrundgeschichten zu jedem einzelnen Stück.
Wo Volume I seine Majorlabel-Jahre als Frontmann einer Band abdeckte, beginnt der Nachfolger mit Move Over Darling, sein erstes akustisches Projekt, aufgenommen in New York mit Produzent Stewart Lerman und seinem alten Freund Steuart Smith (der das letzte Jahrzehnt mit den Eagles auf Tour verbrachte).
Julian hatte immer schon einen guten Geschmack bewiesen bei der Auswahl von Musikern und Mitstreitern. Die überzeugend ruhigen Songs auf Move Over Darling waren veredelt worden durch Gastauftritte von Richard Thompson, The Roches und Soullegende Dan Penn (eine konstante Erscheinung auf dieser Zusammenstellung). Der Doris Day-Song als Titelstück war treffend platziert neben Publikumslieblingen wie „If I Needed Rain“, „All The King’s Horses“ und „Pilgrims“, alle hier eingefangen in astreiner Form.
Wie Neil Young, den er sehr verehrt, war es Julian nie bange, seinen Kurs zu ändern, wenn er eine spontane Idee hatte. Sein nächstes Album Under The Sun, kurioserweise sein einziges „made in England“-Album, fand ihn zurück im Studio mit einer kompletten Band. Die alten Freunde Kimberley Rew und Andy Metcalfe, beide Gründungsmitglieder der legendären Soft Boys, wurden zusammengebracht mit Nashville-Alleskönner Daniel Tashian am Schlagzeug und The Who-Sideman John ‚Rabbit‘ Bundrick an den Keyboards für eine von Julian’s überzeugendster Song-Zusammenstellung. Zu den Stücken, die für Vol. II ausgewählt wurden, gehören „Amazing Disappearing Daddy“, mitgeschrieben von Dan Penn, und das sehr beliebte „Four Walls“, das mittlerweile bei Hochzeiten und sogar Beerdigungen gewünscht wird.
Für sein nächstes Album flog Julian wieder über den Großen Teich nach Kalifornien, traf dort auf Gene Parsons, mit dem bereits eine enge Freundschaft bestand. Gene Parsons erlangte Berühmtheit als Mitglied der Version der Byrds, die am längsten Bestand hatte. Für Julian allerdings war es Gene’s Soloalbum Kindling als Höhepunkt seiner Karriere, auf dem er fast alle Instrumente selbst gespielt hatte. Gene war damit einverstanden, diesem Anspruch nochmals Geltung zu tragen auf Julians Album Hillbilly Zen, indem er die Stücke mit seinem Gesang, elektrischer und akustischer Gitarre, Bass, Banjo, Mandoline, Pedal Steel, Schlagzeug und Esslöffel (!) veredelte. Nicht überraschend klangen die entstandenen Stücke nach ‚Americana‘, womit sich Julian ebenfalls bei Country Music, Folk, Bluegrass, Blues und Hillbilly zuhause zeigte.
Bedroom Suite, was folgte, war ein weiterer kompletter Umschwung. Die Themen des Albums handelten von Beziehungen, die Aufnahmen fanden in Julian’s Wohnzimmer statt. Nur durch einfache Drum Machine-Sounds wurden die Songs mit wunderschönen einfachen Arrangements zum Leben erweckt. Wohl ausgewählte Coverversionen, darunter eine von Dan Penn’s und Spooner Oldham’s großartigsten und am wenigsten bekannten Balladen, „The Lord Loves A Rolling Stone“, wurden angereichert durch Eigenkompositionen von Dawson wie etwa „One By One By One“ und „The Girl You Used To Be“. Julian machte es Spaß, mit neuen Fähigkeiten wie etwa Bläser-Arrangements im Memphis-Stil zu experimentieren. Wo sonst würde man eine Posaune in einem George Jones-Cover hören?
Die intime Umgebung von Julian’s Wohnzimmer in Somerset legte den Grundstock für ein weiteres Album mit einem ungewöhnlichen Thema. Das entsprechend benannte Covers-Album Nothing Like A Dame war eine Zusammenstellung von Songs, geschrieben oder bereits aufgenommen von Frauen. Um zu zeigen, wie verschieden sie klingen konnten, wenn sie von Männern gesungen wurden, enthielt Julian’s Auswahl Stücke von Dolly Parton, Bobbie Gentry, Petula Clark und The Roches. Auf dem Shirley Collins-Song „Whitsun Dance“ war einer von Julian’s frühesten Idolen zu hören, Folkgitarrist Martin Carthy MBE.
Die neue Kollektion enthält ein halbes Dutzend Songs, die Julian mit Dan Penn geschrieben hat. Ihre lange Freundschaft führte zu der Einladung, ein weiteres Bandprojekt in Dan’s Heimstudio in Nashville aufzunehmen. Julian suchte sich die Musiker aus, mit denen zu ihm eine Freundschaft in der Music City verband, und die Songs wurden mit allen Musikern in einem Raum aufgenommen, wie zu alten Zeiten. Direkt auf Band gebannt und mit Dan’s alten Mikrofonen und analogem Aufnahmeequipment war es ausschlaggebend dafür, dass Deep Rain zu einer warmherzigen und wohlklingenden Erfahrung wurde. Drei Dawson/Penn-Kompositionen sind auf dem Album vertreten: Der Titeltrack, „Walking On The Dead“ und „Long Days, Short Nights“. Dan fügte seine legendäre Stimme bei einigen Songs bei und produzierte und mischte zudem das Projekt. Julian entschied, eine Live-Version von „That’s Why God Made Saturday Night“ wegen seiner Energie der Studioversion vorzuziehen.
Diese neue Collection enthält mehrere unveröffentlichte „Bonus“-Tracks: Das nur als Radio-Single erschienene „Christmas Every Day“, ein Outtake von Deep Rain, bekommt endlich mehr Aufmerksamkeit. Julian’s enge Freundschaft mit Charlie Louvin war mittels eines Live-Auftritts beim Cambridge Folk Festival festgehalten worden, hier nun gibt es eine neue Version von „I’m Going To Miss You“, aufgenommen während der Aufnahmesessions von Wolfgang Niedecken in New Orleans im Jahr 2017 mit Steuart Smith am Piano, Leonard Cohen-Sideman Roscoe Beck am Bass und Tedeschi Trucks-Drummer JJ Johnson. Dass Julian auch weiterhin Songs schreibt, zeigt er mit einem brandneuen Stück, „East Nashville Blues“, einem ironischen Kommentar zur neuen Americana-Szene mit exquisiten Beiträgen von Richard Thompson (wieder) an der akustischen Gitarre und von Jean-Marie Peschiutta an der Mandoline.
Life And Soul Volume II ist großteils eine akustische Angelegenheit, so passt es auch, dass die dritte CD diesmal keine Demos und Raritäten wie bei Volume I enthält, sondern, mit freundlicher Genehmigung von Iain Matthews und dessen Kollegen in Plainsong, alle Songs, die Julian in den zwanzig Jahren seiner Mitgliedschaft in dieser Band geschrieben und gesungen hatte. Viele davon waren nur im deutschsprachigen Raum erhältlich gewesen, darunter Covers wie Richard Thompson’s „Galway To Graceland“, Gene Parsons‘ „Gunga Din“ und die Hymne „Poor Moon“ von Canned Heat’s Alan Wilson.
Es ist interessant zu sehen, dass die meisten Personen, die in Julian’s vierzig Jahren des „Abenteuers in Musik“ beteiligt waren, Rebellen und oftmals unbeachtete Kult-Helden sind. Er lernte wichtige Dinge von allen seinen Mentoren und Mitstreitern und all diese Einflüsse summieren sich zu einer Karriere, die so einmalig ist. Besonders hervorzuheben wäre seine warme, kraftvolle Stimme, sein virtuoses Mundharmonika- und feinfühliges Gitarrenspiel. Julian’s Einstellung wird im letzten Stück des Box-Sets deutlich, dem Kinderlied „Why Do I Do It“… Die Antwort? Weil es Spaß macht!