In der musikalisch arg zerklüfteten, aber dafür äußerst spannenden Ära der 90er Jahre gehörten The Schramms zur allerersten Adresse, wenn es um innovative, stilvolle und stets auf Singer/Songwriter-Kultur basierende Guitar Rock/Power Pop-Musik mit einer ganz besonderen Aura ging. Aber nach 2000 war plötzlich Schluss. Umso überraschender kommt nun mit dem vielsagend betitelten Album Omnidirectional das späte Comeback der Band um Mastermind und Namensgeber Dave Schramm heraus. 19 Jahre Pause – mehr als nur eine Musikgeneration! – merkt man dem Trio aus Hoboken, New Jersey hier zu keiner Zeit an! Im Gegenteil: Die 12 brandneuen Tracks tragen keinerlei Retroballast mit sich, sondern verblüffen mit einer absolut zeitgemäßen Deutung der einstmals so beliebten Schramms-Kultur, die sich 2019 sogar noch mehr jeglichem Schubladendenken entzieht als früher. So gehört Omnidirectional jetzt schon zu den schillerndsten und eigenständigsten Veröffentlichungen dieses Sommers jenseits solcher Sparten wie Pop, Rock oder gar Americana.
Die Feelies, Bongos, Individuals und Yo La Tengo begründeten in den 80ern die Geschichte von Hoboken, New Jersey als neues Mekka für eine besonders vitale Szene zwischen Power Pop und Indie Rock, wegen ihrer Frische und Direktheit näher am Punk als am langweiligen Pop/Rock der damaligen Charts. Und in der nächsten Dekade folgten u.a. The Schramms dieser Tradition, sicher noch gitarrenorientierter, mit reichlich Wissen um die Byrds und Big Star, aber auch unter deutlichem Einfluss ihrer Zeitgenossen von R.E.M. bis Long Ryders. Mastermind Dave Schramm (Gitarrist, Sänger und Songschreiber), immerhin Gründungs- und später immer mal wieder Teilzeitmitglied von Yo La Tengo, wollte für seine gediegenen Songs mehr Freiraum und gründete seine Band Ende der 80er mit wechselnden Keyboardern und der bis auf den heutigen Tag intakten Rhythm Section von Al Greller (Bass) und Ron Metz (Drums). Eine auch besonders bei uns in Europa stetig wachsende Fangemeinde bejubelte vorzügliche Auftritte in den einschlägigen Clubs und kultige Veröffentlichungen in Serie: Walk To Delphi von 1990, Rock, Paper, Scissors, Dynamite (92), Little Apocalypse (94), dann das Blue Rose-Debüt Dizzy Spell in 96. Nach einem Dave Schramm-Soloprojekt gab es im Januar 2000 noch ein vorerst letztes Statement mit dem von JD Foster produzierten Studio-Highlight One Hundred Questions. 2019 drücken The Schramms endlich die Reset-Taste!
Omnidirectional ist das Ergebnis eines über 10 Jahre dauernden Arbeitsprozesses, in denen der Band das Studio eines Freundes zur Verfügung stand. Trotz dieser langen Phase haben die Aufnahmesessions insgesamt nicht mal zwei Monate gedauert, das Album ist also kein Stückwerk, sondern ein organisch entwickeltes Konzept, das sich – wieder von Produzent JD Foster (Richard Buckner, Green On Red, Silos, Richmond Fontaine, Calexico) in eine geradezu traumhafte Soundlandschaft eingebettet – zu einem wahren Großwerk aufschwingt! Mit bisweilen ungewöhnlich skurriler Instrumentierung: Bassklarinette, Akkordeon, Marxophone, Banjo, Viola, Cello, Fuzz Guitar, Vibrafon und Xylofon stehen dabei neben der regulären Rockbesetzung mit Rhythm Section und reichlich Aktion von Dave Schramm an etlichen akustischen und elektrischen Gitarren, Keyboards, Bass, Percussion, Banjo und diesen unnachahmlich melancholisch-warmen Vocals, mit denen er schon immer zu verführen wusste.
‚Honestly Now‘ heißt der kapitale 6:35-lange Opener mit gleich mehreren ineinander verschachtelten Parts von sachte akustisch bis aufbrausend mit lauten Krachgitarren. ‚Spent‘ bietet Atmosphäre pur! Behutsam aufgebaut mit dem hintergründigen Gesang von Dave Schramm, perlendem Klavier, dezenten Rickenbacker-Attacken, die aber nie ausgereizt werden, in einer brodelnden, pulsierenden Stimmung voller Geheimnisse. Der vertrackte Rocker ‚In Error‘ punktet mit psychedelischen Orgel-Fills im Hintergrund und einem befreienden Refrain zur rechten Zeit, während ‚Faith Is A Dusty Word‘ an Brian Wilson-artigen Überpop mit reichlich ‚Pet Sounds‘-Zutaten in den üppigen Arrangements erinnert. ‚Good Youth‘ trabt als luftiger Vaudeville-Walzer in Westcoast-Manier daher, geprägt von Banjo, Klarinette und Piano, bevor sich eine quälende Slide Guitar dazwischen drängelt. Im Moll-lastigen, mit reichlich Wehmut behafteten ‚Not Calling‘ verknüpft Schramm mit introvertiertem Leisegesang die Reime „calling“/“falling“ geradezu traumatisch. Der Folk Rock-Mittelteil des Albums beginnt mit ‚Hearts And Diamonds‘, einem unwiderstehlichen Schramms-Ohrwurm mit klasse Gitarren in der Nähe von Richard Thompson. Es folgt ‚New England‘ – flirrende akustische/elektrische Gitarren begleiten den mysteriösen Text über die Ambivalenz von Zeiten und Räumen: „my head calls it forward“. Und auch die verspielte Ballade ‚Still Standing Still‘ passt in diesen Kontext mit exzellenten Gitarrenpassagen und treffsicheren Harmony Vocals von Yo La Tengo’s James McNew. Ein eingängiger Chorus, geschmeidige Gitarren und engagierte Vocals bilden das Fundament für das dynamische ‚Won’t Fall Down‘, bevor der kompliziert konstruierte, verquere Indie Rocker ‚The Day When‘ mit allerlei Instrumentalspektakel und verschwommenen Stimmen über einem einzigen Endlosriff daherkommt und geradezu gefährlich an Yo La Tengo erinnert! Dagegen wirkt ‚Two A.M. Slant‘ zum Abschluss eher als Ruhe nach dem Sturm – eine 3-minütige, wunderschön fließende „Fingerübung“ auf mehreren akustischen Gitarren von Dave Schramm solo zuhause.
The Schramms erweisen sich als eine erstklassige Band, die sicher nicht mehr viele auf der Rechnung hatten, aber von der man jetzt – mit Omnidirectional frisch im Ohr – weiß, dass sie uns regelrecht gefehlt hat!